Archetyp in der FAZ

Redakteur Andreas Platthaus zum Start von Archetyp in der FAZ.


Vorgestern habe ich Ralf König besucht. Seitdem bin ich im Besitz der ersten zweiundvierzig Folgen zur Nachfolgeserie von Strizz, die am ersten Dienstag des kommenden Jahres, also am 6. Januar 2009, in der FAZ starten wird. Rund sechzig Folgen werden es am Ende wohl sein. Ihr Titel: Archetyp. Soviel sei schon einmal verraten, dass es um Noah gehen wird, doch um einen ganz anderen Noah, als wir ihn aus der Bibel kennen.

 

Ralf König hat den gottesfürchtigen Schiffsbauer kräftig gegen den Strich gebürstet, und im Mittelpunkt seiner Geschichte steht denn auch nicht die Sintflut, sondern das seltsame Paradox eines gütigen Gottes, der mir nichts dir nichts fast seine ganze Schöpfung ersäuft, auf deren Entwurf er doch so große Mühe verwandt hat, und das nur wegen der Ungebärdigkeit der Menschen. In Königs Version der Handlung aber soll ausgerechnet der größte Angeber am Leben bleiben - sein Noah ist ein unangenehmer Kerl, der viel eher seinen Gott einen guten Mann sein lässt, als ihm zu gehorchen. Aber die Aussicht, als einziger Mensch mit seiner Familie zu überleben, ist zu verlockend, als hier nicht doch einmal gehorsam zu sein.

 

Mit Archetyp setzt Ralf König seinen Prototyp fort, für den er sich bereits einmal in biblische Gefilde begeben hatte. Als Vorstandsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung sieht der Comic-Zeichner es als Verpflichtung an, Religion mit wissenschaftlicher Skepsis zu begegnen. Von seiner Wohnung in den oberen beiden Geschossen eines Altbaus geht der Blick über ein Kirchturmmeer. „Man kann der Kirche nicht entgehen", seufzt König, aber die Aussicht schätzt er trotzdem. Und wie zum Hohn steht vor einem der großen Fenster ein kleiner Plastik-Weihnachtsbaum.

 

König sieht mit Archetyp das Thema angesprochen, das ihn derzeit am meisten interessiert: die wachsende Aggressivität der Religionen ausgerechnet in einem Zeitalter, das sich selbst als aufgeklärt bezeichnet. Mit dem zweibändigen Dschinn Dschinn hatte er kurz nach dem dänischen Karikaturenstreit schon den Islam zum Thema eines satirischen Comics gemacht; der für die FAZ gezeichnete und gerade erst in wesentlich erweiterter Form bei Rowohlt als Buch erschienene Prototyp führte uns dann an den Beginn der Bibel, zu Adam und Eva, und nunmehr geht es mit Noah weiter im Alten Testament. Wobei Ralf König bewusst ist, dass alle drei Themen noch nicht ans Selbstverständnis der religiösen Mehrheitsmeinung in Deutschland rühren. Doch auch das will er noch herausfordern: mit der Comic-Version einer der prominentesten Apostelgeschichten. Welcher, das sei hier noch nicht verraten. Sie ist jedoch als Folgeprojekt von Archetyp schon fest eingeplant.

 

„Aber vielleicht schiebe ich auch noch etwas dazwischen, etwas Nichtreligiöses, denn ich möchte nicht nur auf diese Sache festgelegt werden." König sitzt mit hochgezogenen Beinen in einem großen Sessel und erinnert uns daran, dass er es ja gerade erst geschafft habe, das Image des reinen „Schwulenzeichners" loszuwerden. „Ich habe in siebenundzwanzig Jahren alles erzählt, was ich zur Schwulenszene erzählen konnte. Momentan reizen mich andere Themen."

 

Allerdings hat ihm dieses Thema auch seine internationale Bekanntheit beschert: „Da hatte ich es als deutscher Zeichner leichter als meine Kollegen wie etwa Walter Moers. Dessen Humor begreift man im Ausland nicht, genauso wenig übrigens wie den von Loriot. Dagegen sind sich die Schwulen auf der ganzen Welt ziemlich gleich. Deshalb hat man meine Comics überall verstanden." Sagt's und schiebt wie zum Widerspruch gleich eine Anekdote hinterher über ein Comic-Festival in Barcelona, wo die spanische Übersetzerin das deutsche Wort „schwul" nicht kannte und es in ihrer Ratlosigkeit mit „depressiv" übersetzte, was zu immer betreteneren Mienen im Publikum führte, als Ralf König als prominenter Zeichner der deutschen Depressivenbewegung vorgestellt wurde, ehe der Moderator des Gesprächs den Irrtum erkannte und aufklärte.

 

In solchen Geschichten blitzt das komische Talent von Ralf König schon im Gespräch auf; mit wenigen Sätzen kann er genauso aberwitzige Szenen schildern wie mit seinen Comics. Nur bei menschlicher Unvernunft hört der Spaß auf. Und da ist man schnell wieder bei der Religion. Menschen, die in ihrem Glauben wurzeln, danach leben und andere nicht dazu überreden wollen, es ihnen gleichzutun, schätzt König. „Aber es gibt auch Leute, die sind schwul und katholisch, für die ist der Papst tatsächlich der Heilige Vater, egal, was der von sich gibt. Wenn dann wieder mal aus dem Vatikan gegen die Schwulen gewettert wird und ich frage, was sie denn dazu sagen, kochen die hoch und wehren sich dagegen, die Handlungen und Lehrmeinungen des Papstes erklären zu sollen. Das finde ich erstaunlich. Oder jener evangelische Priester, dem Prototyp gut gefiel und den ich gefragt hatte, ob er wirklich an die Schöpfungsgeschichte glaube. Der schrieb mir zurück, er habe da zwar Zweifel, aber die seien Bestandteil seines Glaubens. Das ist nicht nur windelweich, das ist schlimm. Da werden eigene Bedenken einfach ignoriert, Inkonsequenzen nicht erkannt. Da muss man einfach gegenhalten."

 

Mit Archetyp wird es auf Königs eigene Weise getan: als höchst genaue Lektüre des biblischen Textes bei satirischem Anspruch. Vorbild ist dafür erkennbar jener Comic-Zeichner, der im Gegensatz zu König tiefgläubig war und es trotzdem niemals an intellektueller Tiefe beim Umgang mit der Conditio humana hat fehlen lassen: Charles Schulz. Das Original einer Peanuts-Folge mit einem Dialog zwischen der Erzskeptikerin Lucy van Pelt und dem grundgütigen Charlie Brown hängt wie eine stete Mahnung an den eigenen Anspruch über Königs kleinem Schreibtisch im Dachgeschoss - darum herum eine Vielzahl von Kopien eigener Arbeiten. „Mit meinen Originalen bin ich immer sehr sorglos umgegangen. Wenn mir einer schöne Augen gemacht hat, habe ich sofort eines verschenkt. Wo etwa die Coverzeichnung zum Bewegten Mann ist, weiß ich gar nicht."

 

Das rächt sich jetzt, wo im Sommer eine große Ausstellung in Oberhausen stattfinden soll. Doch König wird eigens dafür acht großformatige Bilder nach eigenen Motiven malen und ansonsten seine verbliebenen kleinformatigen Originale ausstellen. Wie auch schon von kommender Woche an in der Leipziger Moritzbastei, wo die Zeichnungen zu Prototyp gezeigt werden: „Wobei ich einige Entwurfsskizzen nachträglich rekonstruiert habe, weil ich gar nicht so viele Vorarbeiten anfertige." Den fertigen Folgen für die FAZ, die ich in einer dicken Mappe aus dem Haus trage, sieht man das nicht an: Jedes Bild davon ist so perfekt im Ausdruck der Figuren, als hätte Ralf König von seinem Hochsitz über den Dächern seines Wohnortes genaueste Beobachtungen betrieben. Und sie werden wieder in sein Atelier zurückkehren.

 

 

Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 29.Dezember 2008