Elftausend Jungfrauen können irren: Ralf König plädiert dafür, es mit dem Martyrium lieber seinzulassen.

 

(Erschienen in der FAZ am 24.12.2012)

 

Christen sind nicht erst seit Ralf König komisch. Schon Paulus erklärte der Gemeinde von Korinth, wie seltsam die christliche Rede vom umgebrachten Erlöser auf andere wirken müsse; ein Skandal für gläubige Juden, eine Idiotie im Auge philosophisch gebildeter Griechen. Seit aus der alles umstürzenden Botschaft vom Toten, der lebt, die Kirche geworden ist, felsenfest im Glauben ruhend, reicht die christliche Lächerlichkeit sehr viel weiter. In zweitausend Jahren institutioneller Geschichte kommt einiges zusammen.

 

Aus den Gebieten, in denen das Christentum dem Irrsinn zum Verwechseln ähnlich sieht, hat König wiederholt berichtet. In "Prototyp", "Archetyp" und "Antityp" hat er die biblischen Berichte von Adam, Noah und Paulus neu erzählt und den Dreischritt von Sündenfall, Sintflut und Versöhnung im neuen Bund mit allen Völkern kräftig gegen den Strich gebürstet. In "Elftausend Jungfrauen" geht es nun weiter in die Spätantike und das Mittelalter, zur Legende der heiligen Ursula, Kölns Stadtpatronin, deren Festtag die katholische Kirche vor rund vierzig Jahren wegen mangelnder Beweise wieder aus ihrem Kalender strich.

 

Die Geschichte von der mal bretonischen, mal britischen Prinzessin, die mit tausenden junger Mädchen nach Rom pilgert und bei ihrer Rückkehr in Köln mit großem Gefolge von den Hunnen ermordet wird, entstand im Laufe des Mittelalters und ist in vielen Varianten überliefert. In Königs Version erscheint Ursula ein Engel und befielt ihr den Romzug. Zunächst verwechselt er sie mit der heiligen Regina, die in der Fürsorge für Pestkranke den Tod finden soll. Auch für Ursula findet sich schließlich die richtige Botschaft. Grund genug dem Engel zu vertrauen, trotz der fehlerträchtigen Verkündungsroutine, zumal seine Mitteilung Ursula nicht ungelegen kommt. Sie soll mit dem Prinzen des Nachbarreichs vermählt werden, was sie nicht will. Sie tut gut daran, denn ihn zieht es zu den Stallknechten. Dass die christianisierte Prinzessin ein Keuschheitsgelübde getan hat, leuchtet dem designierten Bräutigam Aetherius und seinen verstockt im Heidentum verharrenden Landsleuten dafür ebenso wenig ein wie das christliche Menschenbild: "Alles unter der Gürtellinie ist schlecht. Alles über der Gürtellinie ist auch schlecht, aber drunter geht gar nicht." 

 

Keuschheit allenthalben also. Noch nie waren bei König so viele Mönchskutten und Nonnenhauben zu sehen. Ganze Bildstrecken leben vom Kontrast zwischen der Monotonie einer in gleichförmige Entsagung gekleidete Welt und den Sprechblasen über den Köpfen der Personen, in denen sich das Begehren von Individuen zeigt. 

 

Aufgrund der Absurdität mancher Legendendetails wirkt "Elftausend Jungfrauen" von Zeit zu Zeit wie ein lustiges Nachspiel zum Kampf der Typen-Trilogie gegen die biblischen Schwergewichte, zumal König die Handlung kölnisch-heimelig dekoriert. Zwischen die Bilder schneidet er unartige Chronikpassagen im Dialekt, mehrfach arbeitet er das Stadtpanorama aus der 1499 erschienenen "Chronica van der hilliger stat van Coellen" ein. Dem unvollendeten Dom samt Turmkran stellt er das Drei-Nonnen-Logo einer bekannten Melissengeistmarke zur Seite, das als spitzbogige Durchreiche an der Rezeption einer Pilgerherberge auftaucht. Das Prunkstück dieses schmückenden Rückgriffs auf fertiges Material, das den Legendenstoff als Zierrat behängtes Nichts fassbar macht, ist Ursulas Verkündigungsszene. Auf einer ganzen Seite zeichnet König Carpaccios 1495 entstandenes Gemälde "Der Traum der heiligen Ursula" nach, einschließlich des Engels und des schlafenden Hündchens am Fuß des Bettes. 

 

Aber der Comic ist mehr als nur eine Zusammenstellung amüsanter Details. Mit seinem satirischen Zugriff auf die schwach belegte Heiligenlegende zielt König auf das Herz des katholischen Christentums. Auch heute erhebt die Kirche den Anspruch auf die Wahrheit der von ihr vertretenen Überlieferung immer wieder sehr selbstbewusst. Von der Wahrheit dieses Anspruchs wiederum hängt sie ab, da ist eine nonchalant gestrichene Heilige einen Blick wert.

 

Trotz dieses Schusses mitten zwischen die Glieder der Rüstung ist "Elftausend Jungfrauen" auch ein Werk der Zuneigung, zumindest der Zuwendung. Nur selten widmen Kritiker sich dem, was sie verärgert, mit so unermüdlicher Nachempfindungsgeduld wie König dem christlichen Glauben. Wann hätte Benedikt XVI. je so unterhaltsame Geschichten aus dem Leben der Schwulen und Lesben geschrieben, gespickt mit Scharfzüngigkeiten, aber grundiert von Selbstironie? Königs zeichnerische Feindesliebe erstreckt sich hingegen auch auf Details wie die trinitarisch korrekte Darstellung des Höchsten, der sich im Gespräch mit seiner Schöpfung in drei Schrifttypen äussert. Der Vater donnert wie stets in Fraktur, der Sohn ist milder, alle göttlichen Personen aber wissen genau, was der lüsterne Papst Cyriacus am Abend vorher gedacht hat. 

 

Rom, sein Sitz, ein irdisches Paradies, wird später zum Ort, an dem Ursula ihr Erweckungserlebnis widerfährt: Giovanni, der hübsche Kellner im italienischen Restaurant. Auf dem Rückweg verkündet sie den Jungfern vor Köln daher, es müsse nun Schluss sein mit dem Märtyrertum. Eine der elftausend Jungfrauen ist keine mehr, und das ist gut so. Was Ursula tut, käme beim aktuellen Nachfolger von Cyriacus gar nicht gut an. Vor Weihnachten sagte er im Vatikan, in der Schwulenehe entferne sich der Mensch von der ihm gegebenen Natur und erschaffe sich stattdessen einen eigene. Aber das gehört schon wieder zur Komik des Christentums. Schließlich geht es Ursula ebenso wie ihrem Zeichner doch genau darum: endlich so sein zu können, wie man ist.   FLORIAN BALKE