Email aus Brüssel
Was bisher geschah:
1. Akt. Das Brüsseler Rainbowhouse bietet mir an, in der Tim & Struppi-Comichauptstadt ein Wandbild zu gestalten. Ich entwerfe gerne ein kunterbuntes Potpourri mit 12 meiner typischen Nasen. Das 8 x 4 Meter große Bild wird im Mai 2015 feierlich eingeweiht. (Foto) Kein Problem, nirgends.
2. Akt. Vier Jahre später meldet man mir aus Brüssel etwas betreten, dass das Bild nach heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe kurzerhand von AktivistInnen besprüht worden sei: Mit den Schlagworten ‚rassistisch’ und ‚transhob’. Grund des Anstoßes sind zwei der Figuren: Die schwarze Lesbe und die Drag Queen.
3. Akt. Ein halbes Jahr darauf bekomme ich eine Email von einer Rainbowhouse-Aktivistin mit der Erläuterung, was Karikatur dürfe und was nicht und der Aufforderung, die zwei betreffenden Figuren zu ändern, andernfalls sehe man sich gezwungen, einen anderen Künstler zu beauftragen, die Wand zu gestalten.
Der Vorgang schlummert dann einige Monate vor sich hin, bis ich ihn im Zusammenhang mit meinem neuen Buch STEHAUFMÄNNCHEN im Mai 2019 in einem SPIEGEL-Interview erwähne. Auf Nachfrage des Journalisten im Rainbowhouse, ob ich denn nicht im Laufe der Jahre durch meine Comics einiges positives für die öffentliche Wahrnehmung von Homosexuellen getan hätte, wird entgegnet, die Frage sei doch eher, was ich denn als weißer cis-Mann für die LGBTQ*-Community getan hätte! Nämlich, vermutlich, nichts.
Im folgenden blies mir aufgrund meines Brüssler Wandbildes was gänzlich Unerwartetes ins Gesicht, "diskriminierende Scheisse" von links und "da siehst du mal, was deine linksgrünversifften..." von rechts.
Um es mal zu entpören: Ich habe den Brüsslern auf die Aufforderung, das Bild zu ändern, ganz unaufgeregt geschrieben, wenn sich wirklich jemand verletzt oder beleidigt fühlt, sollen sie es überstreichen! Klar fände ich's schade,- ich bekomme immer noch Fotos von gutgelaunten schwulen Männern, die vor dem kleinen Paul das Hemdchen heben-, aber es ist schließlich ihre Wand, sie können damit tun, was sie wollen. Auch dass es übersprüht wurde oder dass nun - nach letztem Stand der Dinge - eine Plakette daneben angebracht werden soll, die auf die Problematik hinweist, ist inzwischen, nach meiner damalig ersten (beleidigten) Facebook-Reaktion, ok für mich. Ich wehre mich nur dagegen, als Rassist, transphob und nun noch dickenfeindlich vorgeführt zu werden.
Aber weil das, was ich mache, KARIKATUR ist, mit dem diesem Medium unvermeidlich innewohnenden Merkmal der Übertreibung, wird man immer und in jedem meiner Bücher etwas finden, das man mir vorwerfen kann.
Ich nehme nicht mal an, dass die Diskussion über Politische Korrektheit noch mit links oder rechts zu tu tun hat, sondern eher mit alt und jung.
Es ist wohl ein profanes Generationending, und die Werte wandeln sich heute schneller als je zuvor. In meinen Comics kam tatsächlich überhaupt nie eine Transperson vor! Nicht, weil ich diskriminieren will durch Weglassung, sondern weil ich Transpersonen bisher kaum in meinem nahen Umfeld erlebt und folglich wenig Ahnung habe. Bei mir kommen ja schon kaum Lesben vor, aus ähnlichen Gründen, ich weiß (leider) nicht, wie Lesben untereinander kommunizieren, was da der 'Sound' ist, das Vokabular, wo da in den privaten Dialogen das ganz Eigene liegt. Bei Schwulen weiß ich das (jedenfalls bei alten weißen Schwulen) und ich zeichne wohlweißlich lieber von dem, wovon ich mich einigermaßen auskenne.
Ich würde die Lippen der schwarzen Lesbe auf dem Wandbild nicht noch einmal so unbedarft knallrot schminken, weil ich jetzt lerne, dass jemand das nicht als Lippenstift sehen könnte, sondern als feindseligen Spott. Meine Intention war aber das Gegenteil, für mich ist das immer noch eine stolze, lebenslustige Figur! Und die Tunte ist eine Drag, sie ist das, was einst Divine war, wie sie zu Hunderten über die CSDs und Travestiebühnen und hier im Karneval rumstöckeln! Dieser Spass, trümmerig zu sein! Aber auch der gute, alte Begriff ‚Trümmertunte’ fliegt mir nun um die Ohren…
Ich liebe sie, ich zeichne sie! Wer mir unterstellt, ich "trampele auf den Gefühlen von Transpersonen herum", ignoriert das, wofür ich seit Jahrzehnten stehe. Wohl, weil er oder sie wohl kaum je einen Comic von mir gelesen hat.
Das angehängte Bild zeigt einen verworfenen Cover-Entwurf für einen Sammelband, damals für Carlsen. In der Story dazu geht’s um zwei Männer, die grad genüsslich vögeln wollen, aber ausgerechnet dann kriegt die trächtige Hündin am Bettrand ihre Jungen! Das aber bitte nicht auf dem Bettvorleger, also wird sie panisch aus dem Schlafzimmer getragen! Für mich war das Motiv klare Sache. Die Leute vom Verlag waren schier ENTSETZT über das Bild, weil sie meinten, die Hündin wurde blutig gevögelt! :) Wir haben dann sehr gelacht.
So missverständlich kann man's sehen, aber es hilft manchmal, den Inhalt zu kennen.