40 Jahre Schwulcomix

So richtig will ich’s mir gar nicht klarmachen, aber das Jahr 2020 nötigt mich zu zwei Jubiläen. Das zweite möchte ich bitte bis August verdrängen, das erste bedeutet, dass ich seit nun VIERZIG (in Worten: 40!) Jahren Comics veröffentliche. Das dünne Heftchen SCHWULCOMIX 1 erschien 1980 im Verlag Rosa Winkel, etwa ein Jahr, nachdem ich beim legendären Frankfurter „Homosexuellentreffen" ‚Homolulu‘ 1979 meinen schwulen Urknall erlebte. Ich erledigte im westfälischen Werl mein Coming Out gegenüber Eltern, Freunden und Arbeitskollegen, kündigte schliesslich meinen Job als Möbeltischler und zog in die Großstadtmetropole Dortmund. 

 

Comics gezeichnet hatte ich schon vorher, und schon in meinen pubertären Werken ging es deutlich zur Sache, spätestens, als ich 11jährig erstens die Pornos im Schrank meines Vaters und zweitens Robert Crumbs versaute Undergroundcomix entdeckte. Aber mit meinem schwulen Erweckungserlebnis hatte ich mein Thema gefunden. Zu lachen gab es in schwuler Belletristik wenig bis dato, Homosexuelle waren Aussenseiter, Perverse am Rande der Gesellschaft. Das muss man sich klar machen, wenn man diese frühen Comix sieht. Ohne es zu wissen, füllte ich mit meinem derben Humor eine befreiende Nische. ich war nicht mutig, wie manchmal gesagt wird. Ich zeichnete naiv und aus Spass für mein enges Umfeld und hatte keinen Gedanken daran, dass ich vierzig Jahre später immer noch vom Comiczeichnen leben würde. 

 

Der anfängliche Geheimtipp unter Schwulen Anfang der Achtziger weitete sich zunächst in die linke Studentenszene aus. Nun lag ich auch bei Heteros neben dem WG-Klo. Und dann, 1987, muss ich mich in Dortmund sehr gelangweilt haben, denn in einem Jahr haute ich ‚Der bewegte Mann‘, ‚Kondom des Grauens‘ und ‚Lysistrata raus, inzwischen war ich beim renommierten Rowohlt Verlag in der Taschenbuchreihe 'rororo mann‘ gelandet, in der übrigens ähnliche Emanzipations, Gender und metoo-Themen abgehandelt wurden wie heute, nur längst nicht so aufgeregt.

 

Mit 30 zog ich nach Köln, zeichnete für Rowohlt und immer auch weiterhin für schwule Kleinverlage, und es werden 40 oder 50 Bücher und Alben geworden sein. Ich habe Konrad und Paul Beziehungskrisen führen und gnadenlos altern lassen, habe Aristophanes und Shakespeare geplündert, bin mit dem heiligen Paulus nach Griechenland gepilgert, habe mich mit Gotteskriegern und Dschinnen herumgeschlagen, habe Elftausend Jungfrauen eine Horde Hunnen belästigen und reinrassige Hunde auf Teppiche kacken lassen lassen - und landete Mitte der 90er unter anderem wegen einer vierseitigen Bauarbeiter-Arschleck-Szene beim Bundesamt für jugendgefährdende Schriften, nach dem Freispruch war es offiziell Kunst. Fröhliche Klischees: Frauen waren ‚Quarktaschen‘ und Heteromänner Dumpfbacken, es gab sexy Kerle, Trümmertunten und Ledermasos, es gab Homo-Ehe, Viagra und Aids. Die Bücher wurden und werden übersetzt, die Franzosen und Spanier kicherten von Anfang an mit.  

 

Aber in vierzig Jahren ändert sich vieles, so warf man mir 2018 wegen eines Wandbildes in Brüssel Rassismus und Transphobie vor. Als 'Alter weisser schwuler Mann' (Der Spiegel) nehme ich’s gelassen: Die mir das unterstellen sind wahrscheinlich sehr, sehr jung. Das werden die nächsten Themen sein, LGBTQ*, Trans*, Queer*, ich gebe meinen Senf dazu, und sorry, wenn der inzwischen etwas ranzig ist.    

 

Vier Comics wurden verfilmt, 'Der bewegte Mann' war im Kino ein millionenschwerer Knaller, 'Kondom des Grauens' nicht so (zu recht). Aber es gab ein über Jahre ausverkauftes Live-Puppentheater mit dem Horrorpräser. Ich landete als nackter Coverboy in Chaps auf dem Titel einer Homo-illustrierten, lief beim Life-Ball zu den Klängen der Wiener Symphoniker in Klamotten von Vivienne Westwood über den Catwalk und zeichnete im Berliner Konzerthaus mit dem Bundesjugendorchester live zu Mussorgsky. Ich bekam Preise und durfte wunderbare Menschen kennenlernen. Und wenn ich das alles so aufschreibe und weiss, da war und ist hinter den Zeilen noch viel mehr, nämlich sehr viel Glück und tiefe Freundschaften und guter Sex und Drama, Liebe, Leidenschaft, dann darf ich, glaube ich, dankbar sein.

 

Dankbar vor allem denen, die meinem Humor bis hierher gefolgt sind und die Comics immer noch mögen und kaufen. Das ist keineswegs selbstverständlich, schon gar nicht heute, wo die meisten Zeitgenossen mit den Nasen am Smartphone kleben. 

 

Es war nicht einfach, eine Auswahl zu treffen, aber mit VIERZIG JAHRE SCHWULCOMIX habe ich eine Comic-Lesung am Start, die sich vor allem auf die frühen Geschichten der ersten 20 Jahre konzentriert. Rammelbären, Kommt kein Schiff, 20 DM-Tuntenehre und so. Premiere ist am 19.1.2020 im Berliner BKA, und ich hoffe, es werden noch viele Bühnen im ganzen Land folgen. Fragen Sie ihr Theater, ihr Kino, ihre Kneipe, es braucht nur einen Saal, einen Beamer und ein Mikro. 

 

Und nun: Weitermachen. Frankenstein wird wiederbelebt, Roy schnüffelt Al am Hundehintern und Paul tritt in Berlin in queere Fettnäpfchen. Ob ich nochmal 40 Jahre durchhalte, bleibt abzuwarten, aber ich spitze frohgemut die Griffel.