DER GANZE KULTURBETRIEB HAT ANGST

Ralf König über islamische Fundamentalisten im Comic, den Kampf der Karikaturen und die Schere im Kopf.

 


Eigentlich sollte der erste Band von Dschinn Dschinn bereits im Frühjahr 2005 erscheinen, warum hat sich der Erscheinungstermin bis Oktober verzögert?

Weil ich vor dem Zeichnen an so einem Buch nur eine grobe Idee im Kopf habe und damit einfach anfange. Also kein festes Skript oder großartige Skizzen vorher. Das hat den Vorteil, dass es ein sehr spontanes Arbeiten ist. Ich weiß meist selbst nicht genau, was auf der nächsten Seite passieren wird. Das erhält mir den Spaß am Erzählen. Aber manchmal geht’s auch schief, dann trudelt die Geschichte irgendwohin, wo ich sie gar nicht haben will.

War das so im Fall von Dschinn Dschinn?

Da wurde die Geschichte immer umfangreicher. Ich hatte bereits 130 Seiten fertig und nicht mal die Hälfte von dem erzählt, was ich erzählen wollte. Und bis mir der rettende Gedanke kam, dass es auch zwei Teile werden könnten, war ich schon Monate über dem Abgabetermin.

Auf dem Umschlag des ersten Bandes zeigen Sie, wie ein Schwuler einen am Boden liegenden Moslem mit Glitzerschuhen auf den Bart tritt. Würden Sie das Bild heute anders zeichnen?

Nein, das Bild versinnbildlicht ja nicht die aktuelle Weltlage, sondern den Inhalt des Comics. Dschinn Dschinn ist eine Mischung aus Tausendundeine Nacht und dem, was den Begriff Orient heute ausmacht. Es geht um einen fundamentalistischen Mullah, der in einem Wüstenkaff seine Umgebung und vor allem die Frauen terrorisiert. Dafür wird er von einer indischen Tunte, die den Frauen aufreizende Pömps verkauft, in einen knackigen Flaschengeist verwandelt und muss von da an seinen Gebietern gehorchen. Er landet in der Jetzt-Zeit in einer WG in Aachen, in der ein schwuler Mann und eine Heterofrau leben.

Ihr Mullah will den schwulen Schuhverkäufer steinigen lassen, der ihn deshalb mit seinen Zauberkräften bestraft. In der Gestalt eines Gigolo-Flaschengeistes muss er künftig Männer wie Frauen gleichermaßen beglücken. Ist das für gläubige Muslime vor dem Hintergrund des Karikaturenstreits nicht eine Zumutung?


Erst mal ist es ja wohl für den schwulen Schuhverkäufer ’ne Zumutung, gesteinigt zu werden! Der Spiegel hat kürzlich ein Bild aus meinem Comic gedruckt, auf dem Frauen unter der Burka vor den Pflug gespannt sind. „Könnte das nicht Muslime beleidigen?“, wurde gefragt. Aber ich habe die Rolle der Frauen im Taliban-Regime nur ins Groteske verzerrt – was gar nicht so einfach ist, bei der Realität. Das nennt sich Satire! Wie soll man im Moment als Kulturschaffender überhaupt noch an das Thema Islam rangehen, wenn alles auch anders gedeutet werden könnte? Diese neue Ängstlichkeit ist schlimm. Und ich weiß, wovon ich rede: Ich hatte ja bereits mit mir gerungen, als ich vor zwei Jahren mit der Abeit an dem Comic begann – und da gab es noch keine Hysterie um Prophetenkarikaturen. Ich fragte mich: Schreibe ich jetzt Reizwörter wie Islam, Koran oder Allah in die Sprechblasen? Kann ich mir das hier, mitten in Europa, erlauben oder nicht? Ich habe mich letztlich dagegen entschieden und bin nicht glücklich über diese Selbstzensur.

Dabei sind Sie in Ihren Geschichten nie zimperlich gewesen, haben sich immer wieder über bigotte Moralvorstellungen von Kirche und Politik, aber auch über die politische Korrektheit verkniffener Heteros lustig gemacht.

Stimmt. Ich zeichne jetzt seit 26 Jahren Comics und habe mich nie gefragt, ob ich jemandem auf den Bart trete. Aber bei Dschinn Dschinn hatte ich erstmals die Schere im Kopf. Die Todesdrohung gegen Salman Rushdie war im Hinterkopf, dann wurde der holländische Filmemacher Theo van Gogh von einem islamischen Extremisten ermordet. Ich habe Rushdies Satanische Verse gelesen und konnte überhaupt nicht verstehen, was daran so blasphemisch sein soll, dass der Autor sterben sollte. Man versteht es nicht!

Dörte sagt im ersten Band einmal, dass das Wunder des Dschinn, der aus der Teekanne kommt und alle Stellungen des Kamasutra beherrscht, ihr Weltbild zerstört. Die Realität bestehe aus Klopapier mit Vitamin B, Cellulitis und Angela Merkel – und die sei schon absurd genug. Was ist an Agela Merkel absurd?

Was ist an Cellulitis absurd? Dörte kämpft halt mit sich und der Existenz, sie hätte auch TV total nennen können oder Weihnachten. Aber konkret: Angela Merkel flog seinerzeit nach Amerika und erdreistete sich, sich aus der Opposition heraus im Namen des deutschen Volkes bei Rumsfeld für Schröders Irak-Haltung zu entschuldigen. Das fand ich durchaus absurd und höchst unsympathisch.

Harald Schmidt gab vor wenigen Tagen bekannt, ihm wären Islamwitze inzwischen zu heikel.

Ich bin erstaunt, welche Kommentare und Fragen zu diesem Buch kommen, kein Interview ohne die Bemerkung, das sei ja „islamkritisch“. Dabei beziehe ich mich nur auf die absurden Gesetze der Taliban: Bartzwang, Musikverbot, Frauen unter die Burka etc. Und daneben der sinnesfrohe Orient in den Tausendundeine-Nacht-Geschichten. Diesen Gegensatz fand ich spannend. Und wenn wir die Dinge hier mitten in Europa nicht mehr mit Kritik oder auch mit Humor nehmen können, ohne Angst vor Bomben zu haben, haben die Islamisten ja schon gewonnen.

Sie sind nicht wirklich sorglos ...

Mir ist schon klar, dass Humor nicht zu den Stärken der Fundamentalisten gehört. Und wenn die im Vatikan über die Jahrhunderte so gekonnt hätten, wie sie wollten, sähe es auch hier im Westen finster aus. Aber das hier ist immerhin Europa, und ich halte es für eine unschätzbare Leistung der Menschheit, irgendwann Kirche und Staat getrennt zu haben. Das Schlimmste wäre, wenn kritische der satirische Töne ausblieben, weil wieder irgendwelche Leute meinen, ihren Gott mit Gewalt durchsetzen zu müssen.

Aber die arabische Welt brennt wegen dänischer Karikaturen. Es gab Tote, zerstörte Botschaften und den Aufruf einer iranischen Zeitung, den deutschen Massenmord an den Juden in Karikaturen umzusetzen. Gegen Goldmünzen. Wie haben Sie die letzten Tage erlebt, wie stehen Sie dazu?

Ich fasse mir wie wohl jeder vernünftige Mensch an den Kopf. Ich bin von Haus aus unreligiös und empfand Religion schon immer als Verblendung. Das habe ich schon als Kind gespürt. Wenn die in der Schule was vom heiligen Geist erzählten, fühlte ich immer, dass da was nicht stimmt. Aber das ist natürlich genau mein Thema, seit der Arbeit an dem ersten Teil von Dschinn Dschinn: Wie viel Humor und Satire verträgt der Islam? Kann man es sich als Filmemacher, Buchautor, Comic-Zeichner mitten in Europa noch erlauben, deutliche Worte zu sprechen? Oder zwingen die Mullahs uns bereits mit Angstmache ihren Respekt vor ihrem Gott auf?

Ist es dabei egal, wie stark Karikaturen religiöse Gefühle verletzen?

Ich frage mich immer, wie es eigentlich kommt, dass religiöse Gefühle dermaßen schnell verletzt sind: Wenn man an etwas glaubt, dann glaubt man’s doch, was kratzen daran so ein paar blöde Cartoons? Das ist ja nicht nur bei den Muslimen so, bei den Christen ist es ähnlich, obwohl die natürlich bei weitem nicht so radikal reagieren und nicht ewig beleidigt sind.

Es gab Stimmen aus der Regierung oder auch von Kofi Annan, die zur Mäßigung aufriefen ...

Das mag ja auch vernünftig sein, wo sonst von religiöser Seite aus nur Benzin ins Feuer gegossen wird. Ich fand es aber empörend, dass es im Westen in den ersten Tagen der Karikaturenkrawalle mehr hieß „Hmm, ja, wir müssen auch mal über die Grenzen der Pressefreiheit nachdenken“, als „Moment mal, das hier ist Europa, hier trennen wir Politik und Religion, hier herrscht Meinungsfreiheit, und Karikaturen haben eine lange Tradition!“ Ein Wort noch zu den Holocaust-Karikaturen: Ich habe noch keine gesehen und tippe mal, sie werden geschmacklos, wie für muslimische Gemüter offenbar auch die Mohammed-Bilder. Aber ich vermute, Europa hält dieses kindergartenhafte Auf-den-Boden-Gestampfe aus. Ohne Hasskrawalle. In Israel wird das allerdings wieder ganz anders ankommen.

Sie selbst haben nach den Unruhen der letzten Tage spontan acht Cartoons gezeichnet, in denen Sie die Selbstzensur und die Angst des Westens vor dem Zorn der muslimischen Gläubigen thematisieren. Wen wollen Sie mit dieser Kritik erreichen?

Ich ärgere mich über dieses Hüsteln, dieses Entschuldigen, dieses Wir-müssen-auch-mal-
nachdenken-wie-weit-die-Pressefreiheit-bei-uns-gehen-kann. Nicht falsch verstehen: Ich finde nicht, dass man in so einer Situation noch provozieren und Öl ins Feuer gießen sollte. Es wäre völlig überflüssig, weitere Mohammed-Karikaturen zu veröffentlichen. Aber: Man muss als Folge der Empörung der islamischen Welt jetzt weniger über die Grenzen der Pressefreiheit nachdenken, sondern über die zu verteigenden Werte unserer Demokratie.

Hatten Sie beim Zeichnen dieser Karikaturen keine Angst vor den Reaktionen von Extremisten? Es gab Kopfgelder für die Ermordung der dänischen Zeichner.

Da ist es: Angst! Der ganze Kulturbetrieb hat Angst. Wovor? Nicht vor Klagen wegen Religionsbeleidigung, sondern vor purer Gewalt! Pressefreiheit und politische Karikatur haben in diesem Land eine lange Tradition. Wir haben hier auch gelernt, dass man andere Religionen zu respektieren hat, und das ist richtig. Jeder soll glauben und anbeten, was er will. Aber wenn es im Islam keine Trennung von Politik und Religion gibt, muss man das Problem auch mal politisch benennen dürfen. Es geht in dem Streit doch längst nicht mehr um das Bilderverbot, der Hass auf den Westen wird doch instrumentalisiert und Religion ist nur das Ventil.

Befürchten Sie, dass es tatsächlich zum oft angekündigten „Krieg zwischen den Kulturen“, der ja auch einer zwischen den Religionen wäre, kommt?

Ich befürchte das durchaus. Ich habe mich für Dschinn Dschinn viel mit Islamfragen befasst und bin sehr offen an das Thema gegangen. Aber je mehr ich las, und ich las durchaus auch Bücher von Muslimen, umso abgeschreckter war ich. Dieses Alles-durch-die Religionsbrille-sehen ist fatal, die unsägliche Stellung der Frauen, die Auslegung von Gesetz und Ehre, die Sexualmoral. Und dazu wirtschaftliche Zusammenhänge, die kaum ein Mensch wirklich durchblickt. Und eine sehr arrogant auftretende westliche Weltmacht. Und ein Atombomben-Irrer im Iran ... Also, die Zutaten sind jedenfalls gegeben, oder?

Hatten die bisherigen Ereignisse irgendeinen Einfluss auf den zweiten Band von Dschinn Dschinn?


Nein, ich hab den Ton des Buches schon vorher klar gehabt. Ich ziehe jedenfalls nichts von dem, was ich bisher eventuell Kritisches gezeichnet habe, zurück. Okay, an einer Stelle sagte die Frau über den Mullah: „Was ist denn das für ’ne Mohammed-Karikatur?“ Das habe ich wieder rausgenommen. Ich habe die Sprechblase in einem ersten Reflex auf die Ereignisse geschrieben, zwei Tage später war’s nicht mehr witzig. Aber die Schere ist da, und das ist schlimm.


Zusammenstellung von zwei Interviews aus der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau vom 11. und 18. Februar 2006. Die Fragen stellten Helmut Ziegler und Martin Scholz.