Mal mir mal nen Schwulen

Der Comic-Autor Ralf König ist ein Chronist schwuler Befindlichkeiten. Von Sabine Peters

 

Rezensentin: Demnächst bespreche ich Ralf König. Bekannter, Hetero: Du gehst ja ran. Ganz schön schweinisch, oder? Har har. Bekannter, Homo: Kannst du die Randgruppen nicht in Ruhe lassen? Ihr Heten seid doch Voyeure. Freund, schwul; Freund, hetero, unisono: Wir hätten noch Unterlagen, wenn du was brauchen kannst.


Ralf König ist längst kein Geheimtipp mehr für eine schwule Subkultur; er ist Kultautor; Homos und Heteros lieben ihn, seine Comics werden in zwölf Sprachen übersetzt und in mindestens 17 Ländern verkauft. Wie schafft es einer, der gelegentlich als heterofeindlich, frauenfeindlich, ausländerfeindlich, tuntenfeindlich, eltern- und kinderfeindlich bezeichnet wird, dass seine Bücher von so vielen so unterschiedlichen Leuten genussvoll verschlungen werden?

Es ist die „kleine“ Welt der Schwulen, um die seine bisherigen Bücher sich drehen – und wie immer, wenn einer gründlich und kritisch hinsieht, erweist sich eine oberflächlich für „klein“ gehaltene Welt als unüberschaubar, als mehrdeutig, in sich wiedersprüchlich, kurz, sie erweist sich als vielfältig. Ralf König, Jahrgang 1960, beschreibt schwule Befindlichkeiten und Beziehungskisten vor allem seiner Generation. Die Knollennasen, die durch seine Bücher laufen, sind keine Supermänner; sie sind zwar größtenteils emanzipierte Großstadtmenschen, aber in ihrem Alltag sind sie natürlich auch ganz „normal“ unzulänglich und neurotisch. Das heißt, auch sie haben unter anderem ständig mit der Tatsache zu kämpfen, dass in ihrem Leben Wunsch und Wirklichkeit auseinander klaffen.

Paul, behaart und niedlich, ist der Held mehrerer Comics. Paul steht auf starke Kerle, auf exotische Bauarbeiter-Typen, er steigt sozusagen jedem Schwanz nach und Freunde warnen sich gegenseitig vor ihm: „Der Mann ist ein Flittchen!“ (Super-Paradise) Leider sind die Männer, die Paul begehrt, gelegentlich Heteromacker; sie verlangen mal immense Summen – „Mastercard o.k.?“ –, und mal bringen sie an unpassender Stelle Frauen ins Spiel (Bullenklöten!). Oder der junge Türke Gökhan schägt Pauls langjährigem Liebsten Konrad ein blaues Auge und verabschiedet sich in kräftiger Kanak-Sprak: „Ey, Arschloch, deim Mutthern is voll billisch Hure was rumsteht an Autobahnrastplatz, isch schwör!!“ (Sie dürfen sich jetzt küssen) Wenn dann noch Drogen dazukommen, wenn spießige Verwandte und Nachbarn ins Geschehen verwickelt werden (Beach Boys), ergibt sich ein Wirbel aus Peinlichkeiten, Missverständnissen und Katastrophen – und plötzlich ist man mittendrin in der Komödie.

Viele, viele Comics, die den Markt überfluten, können einen abgrundtief langweilen mit ihren ewigen Stereotypen und ihren öden Superlativen. Abtörnende Muskelpakete mit eckigen Kinnladen telefonieren, rasen in großen Schlitten dahin, ballern durch die Gegend, schlagen andere Muskelpakete zusammen und ziehen schließlich vollbusige Blondinen an die breite Brust – das verrät schon einen sonderbaren Sinn für Komik. Ralf König, zu dessen Vorbildern übrigens die französische Zeichnerin Claire Bretécher gehört, macht, so könnte man sagen, tatsächlich Ernst mit der Arbeit als Komödiant. Was er seinen Lesern bietet, ist freche, intelligente und übrigens auch sehr reflektierte Unterhaltung. (Über seine Ansätze spricht er unter anderem in dem von Joachim Bartholomae herausgegebenen Buch Mal mir mal ’nen Schwulen.)

Ralf König entlarvt die ehrbar brutale Hetero-Gesellschaft, er spottet nach sämtlichen Seiten über hehre und engstirnige Ideale, er hetzt gegen Gruppenzwänge, er konfrontiert alles Große, Gelungene, Ganze mit den vertrackten Kleinlichkeiten, mit dem Scheitern, mit dem Unfertigen, Peinlichen, Schrägen. In seinem Comics schlägt er im Zweifelsfall auch noch beim Happy End einen Purzelbaum und macht dem Leser eine lange Nase, etwa so: Zwei Männer haben offenbar sehr nett miteinander gevögelt. Leidenschaftliche Verabschiedung. Der kleine wilde Bärentyp geht. Und kommt zurück, druckst rum. Logisch weiß er, wie gut anonymer Sex ist. Gelaber, Händchenhalten und Tuntengetue kann er nicht ab. Aber, o Gott, wahrscheinlich macht er jetzt alles kaputt, aber, aber, er würde so gern mal ein Bier mit dem anderen trinken. Das geht zwar vorerst nicht, aber übernachten geht. So weit, so schön. Und was hätte der wilde Bärentyp gern zum Frühstück? „Kalte Milch mit ganz viel Kaba.“ (Suck my Duck!)

In Ralf Königs Comics lauern an jeder Ecke Konflikte, und „Lösungen“ in befriedendem, affirmativen Sinn gibt es nicht oder nur sanft ironisch. Der König-Leser weiß, dass, wenn der hormongeschüttelte Paul am Ende eines turbulenten Abenteuers zurückfindet zu seinem feingeistigen musisch orientierten Konrad, dass es zwischen den beiden nicht lange harmonisch bleiben wird. Königs Figuren sind Narren, sie sind ihre eigenen Zerrbilder: Das sind die ganz normalen Familien; kantige Väter, verharschte Mütter, wirre Kinderchen, heulende schwangere Frauen und doppelzüngige Heteromänner. Es gibt Lederkerle mit faltigen Hintern, grienende kokettierende Tunten. Es gibt Sado-Protze, die keine sind (Safere Zeiten, Macho Comix). Es gibt Selbstverleugner, die sich etabliert haben und mittlerweile um keinen Preis mehr als Schwule erkannt werden wollen. Die Welt ist bunt.

Ralf Königs Bücher sind in all ihrem komischen Potenzial auch durchaus analytisch, sie klären auf, und zwar ihrerseits überraschend lustvoll, witzig und unorthodox. „Aufklärung“, dialektisches Denken: Es ist einerseits gut und richtig, dass die Homo-Ehe politisch durchgesetzt wurde, ein Fortschritt in Sachen gesellschaftliche Akzeptanz. Aber Konrad und Paul möchten den staatlichen Segen dann andererseits im letzten Moment doch nicht in Anspruch nehmen, immerhin fragt es sich, ob die Rollenmodelle und Rituale der bürgerlichen Gesellschaft wirklich für alle erstrebenswert sind (Sie dürfen sich jetzt küssen).

„Aufklärung“: Die Gesellschaft hierzulande ist zwar sexualisiert – kaum eine Ware, die nicht mit dem Versprechen auf Sex verkauft wird –, aber wie sieht der eigentlich tatsächlich aus? Alles erlaubt, kräht es von Plakaten, aus Fernseh- und Radiosendern, keine Tabus; aber es drängt sich oft der Eindruck auf, die Sexualität sähe selbst schon so aus wie die kuschelweichen runden kunterbunten Waren, mit denen der folgsame homo- oder heterosexuelle Konsument sich umgibt; der Körper selbst wird zur Ware, Stichwort Waschbrettbauch.

Bei Ralf König ist der Sex nichts Aprilfrisches, Sportliches. Er zeichnet ihn drastisch, detailfreudig, die Körpersäfte spritzen: „Schleck, schmatz, schlürf.“ Der Sex glückt oder er missglückt – aber das Besondere ist, er findet immer unter gleichgroßen, gleichberechtigten Subjekten statt. Sexualität ist potenziell umkehrbar, so legen es die Bücher nahe; sie ist frei von der scheinbar unauflöslichen Machtstruktur, die über den Beziehungen zwischen Männern und Frauen liegt. Schwule Sexualität, so wie Königs Knollennasen sie praktizieren und vor allem so wie sie darüber reden, ist weiß Gott keine heile, unbelastete Sphäre, kein Utopia. Aber es gibt eine Direktheit, eine Unverkrampftheit, eine Fähigkeit zur Offenheit, denen die Heteros nur neidvoll hinterher staunen können (Der bewegte Mann, Pretty Baby).

Ralf Königs Bücher sind für Heteros vermutlich auch deshalb interessant, weil der schwule Blickwinkel Distanz zum eigenen Leben verlangt, weil unheil- und machtvolle Strukturen deutlicher hervortreten, weil das eigene Verhalten sich besser verstehen und möglicherweise ändern lässt. Die Kurzgeschichte Betriebsklima etwa zeigt, dass es Probleme zwischen Männern und Frauen in Sachen Übergriffe und verbaler Gewalt gibt, die für Schwule in dieser Form nicht existieren: Drei Angestellte im Büro, Schwuler, Heterofrau, Heteromann. Der Schwule erklärt saftig und ausführlich, wie er heute bei Vollmond loszischen wird. Frau, seufzend: Ihr habt’s gut. So locker würde sie gerne auch mal reden. Heteromann: Erklärt saftig und detailfreudig, was er heute nacht braucht. Frau: Abgetörnt, verletzt. Hetero, siegreich: Was denn. Hat sie ein Problem? Sie: Er vielleicht. Beide Heteros: Verbockt, frustriert. Der lachende Dritte: Na wer wohl (Poppers! Rimming! Titentrimm!).

Für den schwulen Leser haben Königs Bücher vermutlich vor allem deshalb einen hohen Identifikationswert, weil er so viele verschiedene Typen, Temperamente und Situationen charakterisiert. Als Chronist schwuler Befindlichkeit zeigt Ralf König auch, was sich innerhalb von 20, 30 Jahren verändert hat. Coming out 2002: Ein langhaariger, schmalschultriger jugendlicher Nickelbrillenträger teilt seiner Mutter mit, er sei wohl schwul. Aus Mutters Mund fallen Wörter: Psychotherapie. Elektroschock. Bundeswehr, dann lacht sie: Unsinn. War nur Spaß. Früher hatten Schwule es schwer, heute ist alles wunderbar. Die Eltern beraten den Sohn, sie meinen aus dem Fernseher alles über den Druck der gay communities, über angesagte Frisuren, über notwendiges Bodybuilding, über Tätowierungen zu wissen, also texten sie den Sohn so lange zu, bis der überlegt, vielleicht wären Elektroschocks doch besser (Suck my Duck!).

Mimik und Gestik, der Seufzer hier, das Gackern da – es ist sehr oft das Ungesagte, das hier ins Bild und zur Sache findet. Klaus Theweleit hat in seinem Kommentar zu Art Spiegelmans Breakdowns einmal gesagt, Comics seinen „Genauigkeitsschmutz“, sie gäben wie Tonbandaufnahmen das wieder, was das Ohr vielleicht nicht wahrnimmt, das aber eine Situation oft entscheidend bestimmt. Bei der Lektüre von Ralf Königs Büchern erlebt man, wie „wir“ funktionieren, wie Kommunikation danebengeht, wie die Körperreaktionen die Rede unterlaufen; natürlich auch, wie sich wortloses Einverständnis zwischen zwei beglückten Körpern herstellt.

Und noch einmal zur „Aufklärung“: Sie geht bis hin zur Beschäftigung mit dem Thema Aids, bei dem man fürchten könnte, es ist zu schwer für das Genre. Auch hier wieder zeigt sich die Vielfalt der Perspektiven: polemischer, wütender und trauriger Protest gegen den Lustverlust, der mit den Formen des Safer Sex einhergehen kann. Ein scharfer Blick auf bizarre Beerdigungsrituale bigotter Bürger. Die Fassungslosigkeit und der Schmerz, wenn der Arzt das Wort „positiv“ ausspricht. Es gibt in diesem Zusammenhang Momente, wo Ralf König sich sogar Pathos leistet, ohne dass es peinlich wirkt: Wenn ein Schwuler angesichts des Aidstodes eines Freundes von der Sexualität als dem größten Geschenk des Lebens spricht, bricht dem konsternierten Pfarrer sichtbar der Schweiß aus; so wird er hohe Ton einmal mehr durch die Zeichnung konterkariert, das Ganze bleibt sozusagen mit beiden Beinen auf der Erde (Super-Paradise).

Was in den Comics bisher leider fast ganz fehlt, ist das Arbeitsleben; es wäre schön, wenn das in einem der nächsten Bücher thematisiert würde, denn die Lohnarbeit macht einen großen Teil des Alltags aus, und Konfliktpotenzial findet sich da allemal.

Auch für eine Ralf-König-Rezension gilt: Sie ist subjektiv, sie erfasst ihren Gegenstand nicht vollständig, sie ließe sich ganz anders aufziehen. Sie kann höchstens Lust machen, die Bücher zu lesen.

 

Erschienen am 24. Juni 2005 in Freitag