Vom Leben gezeichnet

Die schwule Comic-Welt von Ralf König ist komisch und derb, der Zeichner selbst ist ernst und kultiviert – zumindest im Winter. Von Anke Schipp


Wäre jetzt Sommer, liefe alles von selbst. Ralf König säße gut gelaunt in Talkshows, signierte lächelnd seine Bücher, gäbe lässig die Rampensau. Doch es ist Winter: Die Zeit, in der König sich zurückzieht, wenig gesprächig ist und ungern fotografiert wird. Aber weil sein Verlag gerade den neuesten König-Comic herausgebracht hat, muss er bei drei Grad unter Null so tun, als wäre Sommer: Interviews, Signierstunden, ein Auftritt bei Johannes B. Kerner. Lächeln. Erzählen. Gute Miene machen. Seine Zusage zum Interview per E-Mail ist freundlich, aber knapp: „Okay. Sagen wir Freitag, 15 Uhr, bei mir zu Hause.“

Seit Ende der Achtzigerjahre der Comic Der bewegte Mann herauskam und Sönke Wortmann einen Film daraus machte, ist Ralf König populärer, als ihm lieb ist. Seine Fangemeinde ist groß und anhänglich. Das Gästebuch auf seiner Internetseite läuft über vor Lob, er hat zahlreiche Preise gewonnen, wird in 17 Ländern gelesen.

Köln-Innenstadt. Der Nachmittag dämmert grau vor sich hin. König wohnt in einem Eckhaus. Supermarkt, Matratzenstudio, Irish Pub und ein Sunpoint sind in Reichweite – belebte Gegend nennt man das. Der Eingang ist grau gefliest. Die braunen Türrahmen im Treppenhaus sind abgestoßen, der Boden – grau. Komisch, der Mann hat doch sechs Millionen Bücher verkauft? Andere leben dann in Ibiza, König unterm Dach. Und überrascht.

Was hatte man sich vorgestellt? Die Wohnung aus dem Bewegten Mann, überkandidelt in schwulem Gold-Dekor? Oder das Chaos eines Männerhaushalts mit überquellenden Bücherregalen und schmutzigem Geschirr in der Spüle? Fast könnte man, bevor ein einziges Wort mit König gewechselt wurde, seine Wohnung für eine Lektion halten: In Klischees darf man nicht denken, man darf sich nur über sie lustig machen. Denn Ralf Königs Maisonette-Wohnung ist schlicht geschmackvoll. Vom Wohnzimmer aus blickt man über die Dächer von Köln, neben dem Bücherregal lehnt ein Kontrabass. Im mit Schiefer gefliesten Esszimmer hängen gerahmte Original-Comic-Zeichnungen von Kollegen: Charles M. Schulz und Walter Moers. Im Hintergrund läuft Barockmusik. „Nehmen Sie Tee?“

Es ist behaglich, man könnte auch sagen: bürgerlich. König lächelt verhalten. Und redet ziemlich schnell über sein Buch, so leise und wohl überlegt, dass man sich fragt, woher die derbe Seite der Geschichten kommt. Sie dürfen sich jetzt küssen handelt von der Homo-Ehe. Also auch von der Sehnsucht schwuler Männer nach einem Stück Bürgerlichkeit. Königs altbekannte Figuren Konad und Paul beschließen nach 15 Jahren Zusammenleben, sich zu „verpartnern“. Eine überfällige Geschichte im König-Kosmos, schließlich gibt es die Homo-Ehe schon seit 2001.

Doch König hatte zunächst überhaupt keine Lust auf das Thema. „Als über die Homo-Ehe diskutiert wurde, fand ich das eine ausgesprochen spießige Forderung“, sagt König. Er akzeptiert den Gedanken, dass Schwule auch ein Recht auf Bürgerlichkeit haben und dass Schwulsein erst von einer Gesellschaft abgesegnet wird, wenn es auch der Staat tut. „Für mich selbst wäre eine Heirat aber nie in Frage gekommen.“ Und für seine Freunde auch nicht. Die letzte Hochzeit, an der er teilgenommen hatte, war eine heterosexuelle und lag schon Jahre zurück.

Warum also etwas über die Homo-Ehe machen? Erst nach einem misslungenen Winter, in dem er die Idee für eine andere Geschichte nicht in den Griff bekam und nach 60 Seiten kapitulierte, entsprach er dem Wunsch des Rowohlt Verlags, etwas über die Heirat von Schwulenpaaren zu machen. Dafür musste er richtig recherchieren. Er lud sich Schwule ein, die geheiratet hatten und ihm Fotos von der Trauung zeigten, er nahm auch an einer Hochzeit im Kölner Rathaus teil. „Das war der Blick in eine ganz normale Realität.“ Zum Beispiel auf jenen Standesbeamten, der gestand, dass er anfangs Bedenken hatte, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen, bis seine beiden Töchter ihm sagten: „Papi, das ist doch genau wie heterosexuellen Paaren, die haben sich auch nie gesucht und doch gefunden!“ Ihn hat König eins zu eins in seinem Comic übernommen.

Ein Beispiel, das vor allem eines offenbart: Homo-Hochzeiten laufen nach dem ähnlichen Muster ab wie Hetero-Hochzeiten – mit unbeholfenen Heiratsanträgen, desinteressierten Vätern und mehr oder weniger verständnisvollen Müttern: „Wieso sollten Männer nicht heiraten?“, fragt Pauls Mutter, „die Tochter von Frau Stenzelmann, die Simone, die hat ja jetzt auch einen Neger geheiratet.“ Die Geschichte ging ihm dann im Sommer leicht von der Hand. In drei Monaten hatte er alles gezeichnet. Der Verlag druckt gerade die dritte Auflage. Es gab schon schlechtere Winter. „Möchten Sie noch Tee?“

Königs Figuren wohnen einen Stock höher, in den man über die Holztreppe gelangt. Das Arbeits- und Schlafzimmer. Am kleinen Leuchttisch wird ihnen Leben eingehaucht. An der Wand hängen Postkarten, Fotos von nackten Männern und angefangene Comic-Sequenzen von seinem neuesten Projekt, das er für einen schwulen Online-Dienst zeichnet. Und deshalb heftiger ausfällt als die Sachen, die er für Rowohlt macht: mehr Sex, mehr Sprüche, mehr Szenesprache.

Wenn König von seinen Figuren spricht, dann nennt er sie liebevoll „die Nasen“. Riesenknollen, auf denen zwei Kulleraugen liegen. „Asterix für Erwachsene“, sagt er selbst. Sympathieträger, denen man nicht böse sein kann. Das mag der Grund dafür sein, warum König auch von heterosexuellen Männern und Frauen geliebt wird, obwohl sie in den Geschichten nicht unbedingt positiv wegkommen. Die Ersteren sind bei König oft unterschwellig homosexuell – ein „Wunschdenken“, sagt der Zeichner. Und Frauen haben Überbiss, Hängebrüste und schlecht sitzende Frisuren. Auf seiner Internetseite beantwortet er die Frage „Hast du eigentlich was gegen Frauen?“ mit der Zeichnung von besonders hässlichen Exemplaren des weiblichen Geschlechts und dem Kommentar: „Man muss das realistisch sehen: Frauen sind ja aus dem heutigen Straßenbild einer modernen Großstadt nicht mehr wegzudenken.“

Warum machen sie dann mindestens die Hälfte seiner Leser aus? „Offensichtlich haben Frauen Humor und verstehen, warum sie nicht so super wegkommen“, versucht König das Phänomen zu erklären, „aus Sicht eines schwulen Mannes sind sie eben immer die Konkurrenz. Meine tragische Geschichte war das früher auch.“

Früher, das war seine Jugend in Westuffeln/Westfalen: eine Kirche, zwei Kneipen, eine Handvoll Straßen. „Vielleicht wäre ein Dorf in Oberbayern noch schlimmer gewesen für jemanden, dem es mit 13 oder 14 Jahren dämmert, dass er nicht an Mädchen, sondern an Jungs interessiert ist.“ Damals, Anfang der Siebziger, gab es nichts, woran er sich orientieren konnte. Er kannte nur das Klischeebild von Schwulen, die nicht als richtige Männer galten, und jenen Dorfbewohner, von dem man munkelte, er sein „andersrum“, und der den Jungs aufs Klo nachging.

Später sah er den Film Die Konsequenz im Fernsehen, eine tragische Geschichte mit der Botschaft: Als Schwuler ist man ein Leben lang unglücklich. Mit 19 kaufte er sich in der nächsten Kleinstadt mit hochrotem Kopf ein Schwulenmagazin, in dem er von einer Demonstration in Frankfurt las. Mit altem Käfer und Alibi-Freundin fuhr er los, traf dort auf andere Schwule und leitete die Wende in seinem Leben ein.

Sein Coming-out war ein radikaler Schritt. Er sagte es seinen Eltern, seinen Freunden, seinen Kollegen in der Schreinerei. Alle waren verunsichert und machten künftig einen Bogen um ihn. „Erst als meine Karriere als Comic-Zeichner begann, verhielten sich meine Eltern sehr tapfer und hatten ihr Coming-out“, wie König sagt. Sie klapperten die Verwandtschaft ab und erklärten: „Ralf kommt ins Fernsehen, aber wundert euch nicht: Das hat was mit schwul zu tun.“

König hat es nie als seine Aufgabe gesehen, Homosexuellen zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen. Er definiert sich als Schwuler, aber er ist kein Aktivist. Eher sieht er sich als kleines Rädchen, das dazu beigetragen hat, das Thema zu enttabuisieren. Auch Dank seiner Comics habe sich herumgesprochen: „Schwule sind keine perversen Verbrecher, sondern ganz normale Leute, die sogar Spaß am Leben haben.“

Der Reiz seiner Geschichten liegt darin, dass er Einblicke in die Szene gewährt und dennoch Distanz hält, um sich auch ironisch davon abgrenzen zu können. Im echten Leben aber kommt ihm die Leichtigkeit des Schwulseins bisweilen abhanden. Er kritisiert den Jugendkult, „den Druck immer sexy und schön sein zu müssen, das ist schon anstrengend.“ Das gäbe es zwar auch bei den Heterosexuellen, „aber die Männer haben irgendwann Frau und Kinder, kriegen einen Bauch und können sich zurücklehnen.“

Königs privates Thema in diesem Winter ist seine heraufziehende Midlife-crisis. Im August ist er 43 Jahre alt geworden. „Mit der Vier komme ich einfach nicht klar“, gesteht er. Auch den agilen Paul lässt er in seinem Comic mit dem Alter hadern. „Aber ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihn schon 40 werden zu lassen“, sagt König und lacht: „Ich habe wohl nicht nur meine eigene Krise, sondern auch die meiner Figuren am Hals.“

Im Sommer könnte schon alles anders aussehen. Karneval ist in Sicht – für König Saisonwechsel, mit dem sich die Stimmung aufhellt. Einstweilen überwintert er mit Johann Sebastian Bach. Den hat er gerade für sich entdeckt und im Comic auch Konrad verordnet, der nachdenklicheren seiner beiden Hauptfiguren. „Meine Winter-Figur“, ergänzt er.

 

 

Erschienen am 4. Januar 2004 in der  Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung